Insolvenz: Insolvenzrecht und Gerechtigkeit

Die Schaffung der Möglichkeit der Beantragung einer Privatinsolvenz im Jahre 1999 war für die bis dahin fast völlig schutzlos dastehenden Schuldner eine erhebliche Erleichterung für den Ausweg aus einer persönlichen Überschuldung. Allein im vergangenen Jahr 2013 beantragten fast 160.000 Deutsche die Einleitung eines Privatinsolvenzverfahrens. Für den Schuldner ist es nach der bestehenden Gesetzeslage nach wie vor mit erheblichsten Einschnitten in seine persönliche Lebensführung möglich, über einen Zeitraum von derzeit sechs Jahren (Wohlverhaltensphase) sich mit dem Nötigsten zu begnügen, um in möglichst großem Umfang die Forderungen seiner Gläubiger zu bedienen.

Zum 01.07.2014 wird diese sogenannte Wohlverhaltensphase unter bestimmten Voraussetzungen auf nur noch drei Jahre verkürzt, so dass der Schuldner bereits nach drei Jahren von seinen sämtlichen Schulden befreit ist, ohne diese – vollumfänglich – ausgeglichen zu haben.

Seitens des Gesetzgebers wird betont, dass die Verkürzung der Wohlverhaltensphase letztlich auch den Interessen der Gläubiger diene, da die Verkürzung einen wesentlich höheren Anreiz für den Schuldner als bisher schaffe, zumindest einen Teil der Schulden zu begleichen. Tatsächlich waren die Vermögenswerte in 2/3 aller Privatinsolvenzverfahren so niedrig, dass das an die Insolvenzgläubiger verteilbare Vermögen am Ende bei Null lag. Die Gläubiger also vollkommen leer ausgingen. In dem verbleibenden Drittel der Insolvenzverfahren reichte die zu verteilende Masse lediglich dazu aus, durchschnittlich etwa 5 % der offenen Forderungen der Insolvenzgläubiger zu befriedigen. Hinsichtlich aller Insolvenzverfahren wurde im Durchschnitt ein Anteil von 3,6 % der Forderungen der Insolvenzgläubiger befriedigt.

Dies gilt sogar für Gläubiger, die von der Durchführung des Insolvenzverfahrens gar nicht erfahren haben, da der Schuldner sie entweder „vergessen“ hat oder die Gläubiger es selbst versäumt haben, ihre Forderung zu dem ihnen bekannten Insolvenzverfahren anzumelden.

Dies bedeutet, dass ab dem 01.07.2014 ein Gläubiger, der im Rahmen des Insolvenzverfahrens „vergessen“ wurde, bereits nach etwas mehr als drei Jahren seine Forderung gegen einen Schuldner ohne eigenes Verschulden in voller Höhe verloren haben kann.

Eine besondere Schutzbedürftigkeit des am Insolvenzverfahren nicht beteiligten „vergessenen“ Gläubigers vermag weder der Gesetzgeber noch die Rechtsprechung anzuerkennen. Infolge der öffentlichen Bekanntmachung der Eröffnung jedes Insolvenzverfahrens sei jeder Gläubiger grundsätzlich in der Lage, von der Insolvenz seines Schuldners Kenntnis zu nehmen. Da die öffentliche Bekanntmachung durch eine zentrale und länderübergreifende Veröffentlichung im Internet erfolgt www.insolvenzbekanntmachungen.de) muss jeder Gläubiger demnach in regelmäßigen Abständen überprüfen, ob sein Schuldner nicht gerade einen Insolvenzantrag gestellt hat. Angesichts des Umstandes, dass seit dem Jahr 1999 für natürliche Personen die Möglichkeit
der Restschuldbefreiung besteht, müssen, so Rechtsprechung und Gesetz, Gläubiger eben verstärkt damit rechnen, dass auch ihr Schuldner einen Insolvenzantrag stellt und sich
insoweit informieren.

Im Blick auf die Reichweite der Restschuldbefreiung und die sich daraus ergebenden Ungerechtigkeiten für Gläubiger gibt der Gesetzgeber auf Grundlage der ihm zustehenden Gestaltungsfreiheit, so das Bundesverfassungsgericht, dem Grundsatz der Rechtssicherheit hinsichtlich der Restschuldbefreiung für den Schuldner den Vorrang gegenüber Erwägungen der Gerechtigkeit für den Gläubiger. Dies ist anerkannt verfassungsrechtlich zulässig.

Ein „vergessener“ Gläubiger, der einen ihm zustehenden Geldbetrag von seinem Schuldner nicht mehr erhält, wird es wohl kaum gerecht finden, dass sein Schuldner bereits nach drei Jahren sich aller seiner bestehenden Verpflichtungen entledigen konnte. Der Insolvenzschuldner hingegen wird auch nach dem 01.07.2014 die Auflagen des Insolvenzverfahrens als sehr streng erachten.

Sollten Sie, sei es als Insolvenzgläubiger oder als Insolvenzschuldner Fragen oder Probleme mit dem – teilweise neuen – Insolvenzrecht haben, beraten wir Sie gerne.